Aufforderung an die Menschen, umzudenken, weil das RG nahe ist.
Nicht: Denkt um, damit das RG nahe komme. Das Nahesein des RG ist die gegebene Voraussetzung für das daraufhin geforderte Handeln.
2. Schritt: Mt 6,33 "Trachtet zuerst nach dem RG und seiner Gerechtigkeit!"
Gerechtigkeit bedeutet hier = die Verfassungs- und Rechtsordnung, die im RG gilt. "Reich" = griech. basileia = Königreich (politisch/staatsrechtlicher Begriff) = ein durch Gesetze geordnetes politisches Ganzes.
Die Szenarien: Lk = Jesus, seine Jünger und das Volk, alle gemeinsam auf einem großen Platz. Mt = Jesus, umgeben von seinen Jüngern, auf einem Berg, Jesus sitzend = lehrend, das Volk weit unterhalb am Fuße des Berges.
Gemeinsam: Feierliche Verkündigung = Proklamation der Verfassungs- und Rechtsordnung, die im RG gilt.
4. Schritt: Inhalt der Proklamation nach Mt = "die (8) Seligpreisungen".
Angesprochen durch "Selig sind, die .." werden insgesamt acht gesellschaftliche Gruppen, untergliedert in unterschiedliche Gruppierungen:
a) real existierende gesellschaftliche Gruppen:
1.) die Armen, 2.) die Hungernden und Dürstenden, 3.) die Verfolgten.
b) geistige Einstellungen / Haltungen / Gesinnungen:
1.) die Sanftmütigen, 2.) die Barmherzigen, 3.) die reines Herzens / rein im Herzen sind.
c) 1.) die Friedfertigen, griech. "Friedensmacher" = handelnde, politisch/gesellschaftlich gestaltende Personen , 2.) die (nach Luther) Leidtragenden, (griech.) die Trauernden = Menschen, die von Trauer ergriffen sind, zu trauern fähig sind.
Anmerkung: Vergleich Mt / Lk.
1.) Nach Lk = die Armen (gesellsch. Gruppe), nach Mt = die Armen im Geiste, die sich als arm Verstehenden (geistige Einstellung, Selbstverständnis).
2.) Lk = die Hungernden und Dürstenden (ges. Gruppe, denen Brot und Wasser fehlt), Mt = die nach Gerechtigkeit (?) Hungernden (innere Haltung).
Also bei Mt die Tendenz, Haltungen, geistige Einstellungen, Selbstverständnisse anzusprechen. Auch bei "Verfolgten" wird sowohl bei Mt und bei Lk hinzugefügt: um der Gerechtigkeit und des Menschensohnes willen (wohl: unschuldig und wegen ihres Einsatzes für etwas Positives).
Hinzugefügt durch "denn" werden im Futur Zusagen, Prophezeiungen, Verheißungen, Versprechen für die Zukunft.
Zwei Ausnahmen (die erste und die Letzte Seligpreisung): Im Präsens formuliert "(den Armen) ist das RG" = ihnen gehört das RG = sie besitzen das RG. Ebenso bei den Verfolgten. Die Wendung "ihrer ist.." könnte (lateinisch zumindest) bedeuten: es ist ihre Aufgabe, ihre Verantwortung, sie sind zuständig für. Also = die im RG Regierenden, Lenkenden.
Ganz offensichtlich werden die Armen (die tatsächlich Armen oder sich als arm Verstehenden) und die Verfolgten (die Situation des Verfolgtseins persönlich erfahren zu haben) als besonders qualifiziert dafür eingestuft, Regierungsverantwortung für das RG zu übernehmen.
Oder heißt das gar: Regierende im RG müssen arm sein? Dürfen also keinen persönlichen Besitz haben? Zum Ideal erhoben von Franz von Assisi. Verwirklicht als Bedingung für den Eintritt in ein Kloster.
Sowohl die Eingangsformel "Selig sind, die..." wie auch die mit "denn" + Futur angefügten Verheißungen bedeuten, daß alle, die im Sinne der Seligpreisungen denken und handeln, den Willen Gottes in Bezug auf die Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen (nicht nur im Sinne einer persönlichen Frömmigkeit "im stillen Kämmerlein") erfüllen. "Darum sollt Ihr vollkommen sein, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist."(Mt 5,48)
5. Schritt: Die sechs Antithesen.
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: …“ = Gebote, Handlungsmaßstäbe (=die Thora = Mose= dem Mose von Gott geoffenbart – 1.Mose 20 / 5. Mose 5).
Dem wird entgegengestellt: „Ich aber sage euch..“. Also Infragestellung, Widerlegung? Bitte lesen Mt 5,17+18. Antwort: Nicht ein Buchstabe von dem, was dem Mose geoffenbart wurde, wird aufgelöst. Also was dann?
These 1. Thema ist nicht das Töten an sich, sondern die Einstellung zum Mitmenschen („der Bruder“). Radikalisierung („Wurzel“!): Das Töten ist unter diesem Gesichtspunkt nur die schlimmste Form einer Negativeinstellung zum Mitmenschen. Die erste Stufe dazu aber ist bereits Zorn, Herabsetzung, Verachtung. Und das wird von Jesus bereits mit der höchsten Form der Bestrafung, nämlich der Hölle des Feuers belegt. These 2. Thema Ehebruch. Auch hier Radikalisierung. Nicht erst der vollzogene Ehebruch selbst, sondern bereits der Gedanke daran macht den Menschen schuldig. Radikalisierung von der Tat zum Gedanken, schon der Gedanke ist der Beginn, die Wurzel der Tat.
(Die Verse 23-26 sowie 29+30 sind ursprünglich gesondert überlieferte einzelne Jesusworte, die vom Evangelisten selbst oder von der Überlieferung, auf die er sich hier stützt, in diesen Zusammenhang eingegliedert worden sind.)
These 3. Thema Ehescheidung. Hintergrund: die Einrichtung des rechtlichen Instituts der Ehescheidung durch Mose. 5.Mose 24,1. Ursache, dass die Frau dem Manne, also der eine Ehepartner dem anderen nicht mehr gefällt, keine Gnade mehr vor seinen Augen findet, er ihrer / sie seiner überdrüssig ist. These: Wer in einer Ehe angesichts dieser Situation eine Ehescheidung, die juristisch möglich ist, veranlasst, ist im Grunde die Ursache dafür, dass der davon betroffene Ehepartner nach der Scheidung dadurch, dass er eine erneute Ehe eingeht , diese erste Ehe bricht, indem er nämlich in dieser zweiten Ehe Ehe vollzieht. Nicht reflektiert wird hier die Situation, dass nach einer Ehescheidung ein Ehepartner unverheiratet bleibt. Liegt hier auch eine Radikalisierung vor? Schlussfolgerung: Ja. Einer Ehescheidung geht immer eine Störung desjenigen Verhältnisses zwischen der Ehepartner voraus, das eigentlich so sein sollte, dass niemand an eine Ehescheidung denkt. Jeder sollte dem Anderen gegenüber so viel Kreativität und Bemühung zeigen, dass dieser seiner nicht überdrüssig wird. Dies ist eigentlich eine Idealisierung der Gemeinschft zwischen Mann und Frau in einer Ehe.
These 4. Thema das Schwören, der Eid. Hintergrund: Das Institut des Eides, eines Schwures vor / bei Gott. Jesus:Du sollst überhaupt nicht vor/bei Gott schwören, sondern nur sagen: Ja Ja, oder Nein Nein. Bekräftigung allein durch Wiederholung. Grund: mögliche Orientierungspunkte eines Schwures (Gott, Himmel, Erde, Jerusalem, das eigene Haupt) sind deshalb verboten, weil der Mensch Gottes Geschöpf ist, und ein Geschöpf kann/darf niemals den Schöpfer zum Zeugen seiner Aussagen anrufen. Radikalisierung: das einfache wiederholte Ja Ja oder Nein Nein müssen dieselbe Stufe der Glaubwürdigkeit besitzen wie ein Schwur bei Gott. Das eigentliche Thema ist hier nicht der Schwur an sich, sondern die Glaubwürdigkeit von Worten. Du sollst keine Anleihen bei Gott machen, um deine Glaubwürdigkeit zu beteuern.
These 5. Thema Bestrafung, Strafe. Hintergrund: Der Rechtsfriede wird dadurch wiederhergestellt, die verletzte Rechtsordnung dadurch wieder heil, dass die Strafe haargenau der Tat entspricht (Auge um Auge, Zahn um Zahn, Beule um Beule… siehe 2. Mose 21, 24+25). Erst wenn die Strafe an dem Rechtsbrecher vollzogen ist, ist der Rechtsfriede wieder im Lot (Bild der Waage, siehe das Bild der Justitia mit der Waage). Von dem, was unter „Ich aber sage euch..“ aufgeführt wird, passt eigentlich nur ein einziger Satz zu ebendiesem Thema, nämlich der Satz „wenn dich jamnd auf deine rechte Backe schlägt, dem biete auch die andere dar.“ Die Antithese lautet: Der verletzte Rechtsfriede wird dadurch wiederhergestellt, dass der Leidende, das Opfer selbst diejenige Strafe zu erleiden bereit ist, die eigentlich der Täter hätte erleiden müssen, damit auf die Weise die verletzte Rechtsordnung wieder heil wird. Nur dadurch wird der nie endende, scheinbar unaufhaltsame Kreislauf von Tat und Bestrafung (wobei die Bestrafung ja immer selbst bereits wieder eine Form von Gewaltanwendung / Verletzung der Persönlichkeit darstellt) durchbrochen, indem das Opfer selbst bereit ist, auf Strafe am Anderen, am Täter zu verzichten. Dies kann unter Respektierung des Grundsatzes, dass der verletzte Rechtsfriede wiederhergestellt werden muss, nur so geschehen , dass das Opfer selbst die Strafe an sich selbst vollziehen zu lassen bereit ist. Nur so kann es in der Menschheit auf Erden wirklich Frieden geben, Heil geben. Und das ist nach der Auffassung Jesu das eigentliche Ziel auch der alttestamentlichen Thora und der Zehn Gebote, dass endlich Friede und Heil einkehre in der Menschheit. Bleibt die Frage: Wer hat die Kraft, das in und an seiner eigenen Personen zu realisieren. Die Botschaft des Neuen Testaments: Nur einer, Jesus am Kreuz von Golgata.
These 6. Thema: Die Liebe. Hintergrund: Liebe bedeutet Liebe zum Nächsten als Mitglied meines Volkes, meiner Familie und Freundschaft, Liebe zu Menschen, die mich auch lieben. Radikalisierung auch hier: Liebet eure Feinde, eure Verfolger. Wer wahrhaft liebt, liebt auch seinen Feind. Das bedeutet: Es mag jemanden geben, der mir Feind ist, mich verfolgt, flucht, hasst und beleidigt; ich aber bin ihm nicht Feind, sondern ich liebe ihn, segne ihn, tue ihm Gutes, bitte für ihn. Wichtig zu bedenken, das Gesamtthema lautet: das Reich Gottes. Die so verstandene Liebe ist der einzige Weg zum Heil, zu einem vollkommenen Zustand der Menschheit, der aber nur erreicht wird, wenn jeder Einzelne „vollkommen“ ist. „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist (5,48)“. Gott als das große Vorbild des Menschen. (Handelt so, wie Gott handeln würde, wenn er Mensch wäre.)
6. Schritt: Das Vaterunser.
Das Vaterunser muss gesehen werden unter dem Gesamtzusammenhang: Reich-Gottes-Gedanke in der Bergpredigt. Wir stellen fest: 1.) Das VU wird gesprochen von Menschen, die an Gott, den Vater im Himmel glauben und sich als Gemeinde, Gemeinschaft verstehen (unser, wir). 2.) Diese Menschen leben in einer Wirklichkeit, in der der Name Gottes nicht geheiligt wird, das Reich Gottes nicht gekommen ist und der Wille Gottes auf Erden nicht so geschieht wie im Himmel. Dies kommt in der Wunschform zum Ausdruck (Dein Wille geschehe…), so als wäre das RG noch gar (oder nicht mehr?) nicht in Sicht, als wär es noch ziemlich weit weg. Trotzdem wird nicht der Versuchung erlegen, das RG im Himmel zu lassen und die Erde / Menschheit sich selbst zu überlassen, sondern es wird die Bitte ausgesprochen, dass der Wille Gottes auch auf der Erde geschehen möge. Also diejenigen, die hier beten, verstehen sich selbst und ihre Aufgabe nicht vom Himmel her und auf den Himmel hin, sondern von der Erde her und auf die Erde bezogen. Sie sehnen sich nicht nach einem imaginären Himmel, sondern sie fühlen die Verpflichtung, die Erde im Sinne des Willens Gottes zu verändern. Freilich bekennen sie, dass der derzeitige Zustand der Erde / Menschheit auch ihre Schuld ist (Vergib uns unsere Schuld), dass sie sich in Versuchung geführt fühlen, ja dass sie sich sogar in den Fesseln des Bösen wissen. Daher die Bitten um Vergebung und Erlösung. Es bleibt der Grundgedanke, dass auch Vergebung und Erlösung nicht einer endgültigen Gerecht-Sprechung im Himmel (ewiges Heil) dient, sondern dem Ziel, das RG auf der Erde zu verwirklichen im Sinne von Mt 5,48. Wer, wenn nicht die Christen, könnte / sollte denn sonst die Erde im Sinne der Botschaft der Bergpredigt gestalten und regieren?
Schlussbetrachtung: Zeigt das Vaterunser eine Weiterentwicklungsstufe gegenüber den Seligpreisungen? Ist hier möglicherweise das Selbstverständnis und die Sicht der Wirklichkeit gegenüber der in den Seligpreisungen sich aussprechenden Botschaft realistischer, greift hier vielleicht sogar schon Resignation oder Frustration Raum ? Das bedeutet: Hat Jesus selbst eine solche Entwicklung durchgemacht? Passen das Selbst- und Weltverständnis der Seligpresungen, der Antithesen und des Vaterunsers zusammen oder repräsentieren sie Entwicklungsstufen des von Jesus verkündeten Reich-Gottes-Gedankens?
Gott los. Was, wenn Gott die Welt verließe ?
(Geschrieben im Advent 2007)
Ich stelle mir vor, Gott würde die Welt, deren schöpferische und erhaltende Kraft er bis dahin gewesen ist, ein für alle Mal verlassen.
Ich stelle mir vor, Jesus Christus würde sich als Leitbild und Licht für ein menschliches Leben, Denken und Handeln aus dem Bewußtsein aller Menschen spurenlos und für alle Zeiten ausblenden.
Ich stelle mir vor, der Heilige Geist als das erlebbare Wunder einer Erneuerung von Geist, Leib und Seele aus den Tiefen des Ursprungs wäre erloschen und ausgebrannt.
Ich frage mich ernsthaft: Was sollte Gott eigentlich davon abhalten, nunmehr endgültig aus der Welt auszusteigen, wo doch der Zustand der Menschheit sich auch nach Christi Geburt nicht wesentlich geändert hat.
Die Gräueltaten, die Menschen an Menschen verübt haben und weiterhin Tag für Tag verüben, sind unvorstellbar, ihre Zahl ist unendlich.
Ich stelle mir vor, die Hilferufe und Schmerzensschreie aller, die durch die Gewaltanwendung anderer zu Tode kamen, würden sich zu einem einzigen lauten Schrei vereinen.
Nicht nur unser kleines Trommelfell würde platzen, sondern von der Gewalt dieses einen Schreies würden Hochhäuser einstürzen, Flugzeuge vom Himmel fallen, riesige Wellenberge aufgeworfen und Erdbeben ausgelöst, ja, ich bin überzeugt, die Erdkugel würde zerbersten und die Erde würde wieder zu dem, was sie einmal war, ein wüster, unbewohnter, menschenleerer Planet.
Ich ziehe eine Schlußfolgerung.
Ich bin es, wir sind es, die Gott durch unser Gebet in der Welt festhalten müssen.
Ich bin es, wir sind es, die Jesus durch unser Denken und Handeln unauslöschlich in die Welt einbinden müssen.
Ich bin es, wir sind es, die den Heiligen Geist durch das Eingeständnis, immer wieder auf das Wunder einer Erneuerung angewiesen zu sein, magnetisch in die Welt hineinziehen müssen.
Dies zu tun liegt in unserem ureigensten persönlichen Interesse.
Zugleich leisten wir damit auch einen Dienst für die gesamte Menschheit, auch wenn viele es nicht verstehen mögen.
>> Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: Ich suche Gott! Ich suche Gott!
Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? - so schreien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. Wohin ist Gott? rief er. Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet - ihr und ich! Wir sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch eine unendliche Nacht? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?
Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an. Auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert. << (Friedrich Nietzsche, 1844-1900)
Der Auftrag: Erfolgreich die Welt zum Guten verändern.
Erfolgreich handeln für die Vielen - Keiner lebt nur für sich selbst.
Formuliert im Advent "Keiner von uns lebt sich selber
und keiner stirbt sich selber.
Leben wir, so leben wir dem Herrn,
sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Darum: wir leben oder sterben,
so sind wir des Herrn."
(Paulus, Römer 14,7-8)
"Der Menschensohn ist nicht gekommen,
daß er sich dienen lasse, sondern
daß er diene und gebe sein Leben
als Lösegeld für die Vielen."
(Matth. 20,28)
Die Formulierung "sein Leben geben als Lösegeld für die Vielen" ist in der christlichen Tradition zu sehr nur auf den Tod Jesu bezogen worden. Der sterbende und auferstandene Christus war das Leitbild, von dem aus diese Formulierung verstanden wurde.
Ich meine, daß diese Worte stärker auf den h a n d e l n d e n Jesus von Nazareth bezogen werden müssen. Der durch Botschaften handelnde, Zeichen setzende Jesus: das ist das L e b e n dieses "Menschensohnes". Der handelnde Jesus, das ist der Menschen-Sohn. Der auferstandene Christus, das ist der Gottes-Sohn.
Der handelnde Jesus, das ist:
1.) Die Entscheidung, Johannes den Täufer und dessen Jüngerkreis zu verlassen und sich mit einer neuen Botschaft an die Menschen zu wenden.
Johannes hatte die Menschen aus der Zivilisation der Städte herausgerufen zu einem asketischen Leben in der Wüste, um so Buße zu tun für ihre Sünden. "Er hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden, seine Speise waren Heuschrecken und wilder Honig." (Matth. 3,4) Er nennt die Menschen "Schlangenbrut" und "Spreu", die verbrannt werden wird mit unauslöschlichem Feuer. Ein deutlicher antizivilisatorischer Akzent.
Jesus wendet sich an die Menschen in der Zivilisation mit der Botschaft: "Denkt um!"(griech.: metanoete)(Matth. 4,17) "Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte die Botschaft von dem Reich Gottes und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk."(Matth. 4,23) Jesus geht dorthin, wo Menschen wohnen, in die Städte und Gemeinden Galiläas, und predigt das Umdenken (griech.: metanoia) i n der Zivilisation, nicht den Auszug, den Ausstieg aus derselben.
2.) Jesus proklamiert eine neue Rechtsordnung, die Rechtsordnung, die im Reich Gottes gilt, verbunden mit der Ankündigung:"Das Reich Gottes ist nahe."(Matth. 4,17)
Jesus markiert diese neue Denk-Ordnung mit seinen acht Seligpreisungen (Matth. 5, 3-10):
"Selig sind die Armen." (vgl. Luk. 6,20)
"Selig sind die Leidenden."
"Selig sind die Sanftmütigen."
"Selig sind die Hungernden und Dürstenden."(vgl. Luk. 6,21)
"Selig sind die Barmherzigen."
"Selig sind die Reinen im Herzen."
"Selig sind die Friedfertigen."
"Selig sind die Verfolgten."
Dies ist wahrlich eine unerhörte Botschaft. Logischerweise lesen wir mehrfach in den Evangelien: "Und das Volk entsetzte sich über seine Lehre."(Matth. 7,28) Das ist so unerhört, daß die Urgemeinde "arm" umgedeutet hat als "im Geiste arm", "hungern und dursten" umgedeutet hat als "nach der Gerechtigkeit hungern und dursten" sowie "verfolgt" als "um der Gerechtigkeit willen verfolgt".
Bei Lukas (6,20-22) ist die Urfassung überliefert. Die Hinzufügungen liefern diese Worte der Mehrdeutigkeit aus und entschärfen so ihre radikale Eindeutigkeit.
Die Armen, die Leidenden, die Hungernden, die Verfolgten sind die gesellschaftlichen Zielgruppen, auf die hin das Handeln ausgerichtet ist. Und die Handelnden, die Regierenden im Reich Gottes, sind die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die im Herzen Reinen, die Friedfertigen. Ihnen wird verheißen: "Sie werden die Erde besitzen."(5,5)
Reich Gottes, das ist also nicht irgendeine Traumwelt, eine ideale, aber sehr ferne Scheinwelt, die auf diejenigen wartet, die hier zu kurz gekommen sind. Nein, das Reich Gottes ist nahe und hat eine konkrete Rechts- und Gesellschaftsordnung, die in ihm gilt, und der Ort seiner Verwirklichung ist "die Erde".
So heißt es in Matth. 5, 13 und 14:
"Ihr seid das Salz der Erde.
Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?"
"Ihr seid das Licht der Welt.
So laßt Euer Licht leuchten vor den Menschen,
damit sie Eure guten Werke (Handlungen) sehen."
Sein Leben einsetzen für die Verwirklichung dieser Ordung im Reich Gottes auf der Erde: das heißt "dienen und sein Leben geben für die Vielen."
Die Umsetzung dieser Orientierungspunkte des Handelns ist ganz sicher sehr schwer. Jesus verheißt seinen Jüngern kein einfaches Leben. Aber das Leiden, das sein Leben "geben" im Sinne von "opfern" kann nicht das Ziel sein, sondern mag in extremen Situationen die unvermeidliche Konsequenz/Begleiterscheinung dieses Willens zur Veränderung der Verhältnisse im Sinne der Rechtsordnung des Reiches Gottes sein.
Aber auch hier muß gelten: nicht der Leidende an sich, sondern der Handelnde, wenn möglich der Erfolgreiche, der Siegende ist das Ziel. Denn nur durch erfolgreiches Handeln kann die Rechts- und Gesellschaftordnung auf das Urbild des Reiches Gottes hin verändert werden.
Als Jesus in der Synagoge von Nazareth auftritt (Luk.4,16 ff), liest er aus Jesaja den Text (61,1-2): "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen die gute Botschaft für die Armen. Er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen." (vgl. Jes 42,1-9!)
("Blinde, daß sie wieder sehen sollen": kein Grund, diese Aussage geistlich zu deuten oder als Heilung einer Krankheit, sondern das heißt: die Gefangenen, die in den dunklen Verliesen sich des Lichtes entwöhnt haben und nun wie blind sind, aus ihrem Gefängnis befreien; viel bescheidener und ganz konkret: die physische, die politische Grundlage zu schaffen, auf der die Völker in Frieden und Freiheit jedes sein eigenes Leben führen können. - Zitate aus Karl Elliger, Deuterojesaja, S. 236/237-zu Jes 42,1-9, Neukirchener Verlag, Bibl. Kommentar AT Bd. XI/1)
In Matth. 25,31 ff heißt es logischerweise:
"Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen."(vgl. Jesaja 58,7)
Die christliche Tradition hat den Glauben an Jesus einseitig fixiert auf den gekreuzigten Jesus. Als Urbild christlichen Lebens wird demnach das Leiden, das Kreuz propagiert. Der Gläubige soll sich in Anbetung und Meditation in das Leiden Christi versenken als dem Leitbild christlichen Lebens. Hier wird das Leiden zum Ziel, zum wahren Wesen, ja zur Bestimmung des Menschen erklärt.
Nach Matth. 28,20 aber hat der auferstandene Christus seinen Jüngern geboten: "Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker und lehret sie halten alles, was ich Euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt."
Schon in der Bergpredigt heißt es: "Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Reich Gottes kommen, sondern diejenigen, die den Willen tun meines Vaters im Himmel."
Die Botschaft auch und gerade des Gekreuzigten und Auferstandenen ist nicht: Laßt Euch kreuzigen, wie ich gekreuzigt wurde!, sondern: Geht hinaus zu allen Völkern, verändert die Welt, indem Ihr die neue Rechtsordnung des Reiches Gottes verwirklicht.
Erfolgreiches Handeln in diesem Sinne muß das Ziel sein. Erfolg nicht um seiner selbst willen, sondern Erfolg als Voraussetzung für positive Veränderungen in der Welt.
Hier ist, meine ich, ein kurzer Abschnitt ebenfalls aus der Bergpredigt bemerkenswert (5,16-17): "Wenn Ihr fastet, sollt Ihr nicht sauer dreinsehen. Wenn Du fastest, so salbe Dein Haupt und wasche Dein Gesicht, damit Du Dich nicht vor den Leuten zeigst mit Deinem Fasten, sondern vor Deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird Dir's vergelten."
Wer das Ziel hat, die Verhältnisse in der Welt im Geiste der Rechtsordnung, die im Reich Gottes gilt, zu verändern, der sollte sein christliches Bekenntnis nicht ständig vor sich hertragen, sondern in der Welt als einer von ihr und mit den in ihr gebotenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten erfolgreich handeln. Gott kennt die wahren Motive, ein christliches Gesicht brauchen wir vor den Menschen nicht ständig zur Schau zu stellen.
Aber ebenso gilt: Gesundheit, Kraft, Schönheit, Verstand, Kreativität sind nicht um ihrer selbst willen da, sondern "gesegnet" nur, wenn sie als Möglichkeit, ja als Verpflichtung begriffen werden zu solidarischem Handeln für die Vielen, denen so gesund, stark, schön, klug und erfolgreich zu sein sein nicht vergönnt ist.
Ist Gottes Schöpfung dem Menschen ungeschützt ausgeliefert? Ist der Mensch, der sich nicht wehren kann, den Gewalttätigen ungeschützt ausgeliefert?
(1) Die Augen in den Augenhöhlen, welch ein Wunder des göttlichen Schöpfers! Wer einen Menschen blendet, diese Augen mit einem Messer zersticht, er müßte eigentlich sofort tot umfallen. Diese Freveltat gegen eine geniale schöpferische Idee. Aber es passiert nichts. Auge um Auge, Zahn um Zahn - das mindestens müßte eintreten, von selbst, durch die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung sozusagen. Sonst bleibt ja doch diese Schöpfung ausgeliefert ihren Gegnern, den bösen Zerstörern. Ja, aber so ist es.
(2) Die Schöpfung als Ganzes, der Mensch als kongenialer Partner des Schöpfers in dessen Werkstatt und Welt, sie werden nur geschützt, haben nur Frieden (Heil, Schalom), wenn Menschen diesen Frieden schaffen, oder, anders ausgedrückt, wenn Menschen es verhindern, daß dieser Friede, der eigentlich, von der Idee her, gegeben ist, gestört/zerstört wird. Der Mensch ist der "Hausverwalter", der "Betriebsleiter" Gottes in dessen Haus, Werkstatt, Betrieb, Weinberg (so im NT).
(3) Solche "hausgemachten" Katastrophen, Untaten mit katastrophalen Folgen in der Schöpfung und im Leben eines Einzelmenschen, einer menschlichen Gesellschaft, der Menschheit, sind allenfalls Zeichen, Signale. Wer Augen hat zu sehen, der sehe. Aber sie sind nicht das Ende der Schöpfung, die endgültige Katastrophe, wie sie ja von einigen Visionären in der Vergangenheit und in der Gegenwart erwartet, ja erhofft, herbeigesehnt wird als Ergebnis der Bosheit der Menschen. Neu kann nach deren Vision die Welt nur werden, wenn das Alte durch die große Endzeitkatastrophe zerstört wird und übrigbleibt nur noch das Gute und die Guten, das Gottwohlgefällige und die Frommen und so alles von Grund aus neu geworden ist. Siehe die Endzeitszenarien in der Johannes-Apokalypse.
(4) Hier mag die Umwelt-Klima-Situation auf der Erde ein Bild, ein Beispiel oder auch mehr sein. Wenn wir die Erde erhalten wollen, müssen wir jetzt damit beginnen. Aber zwischen unserem Tun jetzt und der Wirkung, die dieses Tun hat, besteht keine Direktheit, kein Automatismus, keine Nachprüfbarkeit in einer Generation, sondern das Ganze ist miteinander verwoben, eine die Generationen tranzendierende Gesetzmäßigkeit. Jedes einzelne Element, jede einzelne Kraft ist zwar durch Kausalität in das Ganze verwoben, aber nicht im Sinne einer Kausalität, wie die Naturwissenschaften sie heute beobachten, registrieren, "messen". Hier ist nicht jede Einzelaktion meßbar hinsichtlich ihrer Wirkung (Ursache-Wirkung).
(5) Arbeit im Weinberg Gottes in diesem Sinne kann nur geleitet sein von der Hoffnung, von der Überzeugung, vom Glauben, von der Liebe zur Erde. Aufruf zum Handeln für die Erhaltung der Schöpfung muß daher an tiefe Substanzen, Urgründe im menschlichen Bewußtsein appellieren, wenn es Erfolg haben will. Wissenschafliches Wissen in diesem Sinne ist ein inspieriertes Wissen, ein göttliches, ein prophetisches Wissen. Wer dieses Wissen hat, wer "sieht", daß die Menschen falsche Wege gehen (falsche Wege ganz sicher auch für sie selbst, aber besonders für das Ganze), dem bleibt nur der Ruf zur Umkehr, zum Umdenken und/oder der Entschluß, aus diesem Wissen heraus gesetzgeberisch zu handeln, wohl wissend, daß er bei (den) Vielen, die vordergründig denken, unverstanden bleiben wird.
(6) Daß ein solches Handeln richtig ist, ist nicht direkt beleg- und nachweisbar, aber sicherlich ahnbar. Guter Wille vermag es als richtig zu erkennen. Aber wenn dieser gute Wille nicht da ist, dann fehlt die Transparenz, die Schlüssigkeit. So ist es auch im menschlichen Leben, wenn es darum geht, ob es Sinn hat, sich lohnt, sein Handeln an Werten und Normen zu orientieren. Auch hier führt nicht jeder falsche Gedanke, jede falsche Handlungsweise automatisch dazu, daß jeder sieht, welche schlimmen Folgen diese Einzeltat für denjenigen hat, der sie vollzieht.
Das gilt gewiß auch bei guten Taten, die sich nur selten augenblicklich lohnen. Allenfalls wenn sich diese falsch ausgerichteten Verhaltensweisen summieren, deutet sich ein gewisser Trend an, der nicht zu einem guten Ende führen kann. Dasselbe trifft für die menschliche Gesellschaft zu.
(7) Es ist das Gesetz, das allem durch menschliches Verhalten ausgelöstem Geschehen zugrunde liegt, das letzte Gesetz, die Schöpfungslogik, daß diese Schöpfung lange Zeit weiterbestehen kann mit vielen Verfehlungen, Sünden, Zerstörungen, Lügen, Selbsttäuschungen, und sie bleibt trotzdem immer noch in einem gewissen Lot, sie bleibt erhalten. Wie auch der Mensch, der Untaten begeht, erhalten bleibt, selbst der Mörder weiterlebt, obgleich er eigentlich ("wenn alles mit rechten Dingen zugeht") sofort sterben müßte. Es gibt nur ganz wenige menschliche Taten, die zu einer sofortigen Reaktion gegen den bösen Täter führen, wo also die Untat den Übeltäter umgehend zerstört. Gefährliche Basteleien mit Sprengstof etwa oder die Atombombe, die, von mehreren Tätern gleichzeitig an verschiedenen Orten ausgelöst, die Erde zerstören könnte. Weil und wenn wir die direkte Auswirkung auf das Ganze erkennen können, unterlassen wir solche Untaten. Darauf baut ja das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens auf.
(8) Deshalb verhallen so oft Prophetenrufe, weil diese Propheten zwar sehen, wozu Handlungsweisen "im Endeffekt" führen, nämlich zur Zerstörung des Ganzen und das heißt zur Zerstörung der Lebensgrundlagen überhaupt. Aber nur aus ihrer "Vision" heraus führen solche Handlungsweisen dazu. Den Tätern selbst ist dies meistens nicht "einsichtig" zu machen. Es bleiben Worte von "Predigern in der Wüste", die ungehört verhallen. Das gilt nicht nur für religiöse "Seher", sondern ebenso für wissenschaftliche und politische. Natürlich ist auch hier das Betätigungsfeld von falschen Propheten, Fuschern, Übereiferern. Denn diese Aussagen sind ja nicht naturwissenschaftlich nachweisbar, beziehen sich auf die Zukunft, die noch nicht eingetreten ist. Der Wahrheitsgehalt basiert auf Visionen und Konstruktionen von "Glaube, Hoffnung, Liebe", auf eine transmomentane Kausalität.
(9) Man mag das alles bedauern und beklagen, aber so ist das nun einmal. Das ist das Wesen der Dinge, das Gesetz des Seins. Das ist die von Gott geplante Schöpfungsordnung, von der es heißt: "Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte. Und siehe, es war sehr gut." Sehr gut ist alles nur im Sinne der Urkonstruktion, nur bedingt im Sinne von meßbaren Einzelfaktoren. Wahr ist jener Satz der Schöpfungsgeschichte nur, wenn ich ihn glaube und wenn ich, von diesem Glauben geleitet, die Wirklichkeit betrachte.
E s m a g s e i n
Es mag sein, daß alles fällt,
daß die Burgen dieser Welt
um Dich her in Trümmer brechen.
Halte Du den Glauben fest,
daß Dich Gott nicht fallen läßt:
Er hält sein Versprechen.
Es mag sein, daß Trug und List
eine Weile Meister ist.
Wie Gott will, sind Gottes Gaben.
Rechte nicht um Mein und Dein;
manches Glück ist auf Schein,
laß es Weile haben.
Es mag sein, daß Frevel siegt,
wo der Fromme niederliegt.
Doch nach jedem Unterliegen
wirst Du den Gerechten sehn
lebend aus dem Feuer gehn,
neue Kräfte kriegen.
Es mag sein, die Welt ist alt;
Missetat und Mißgestalt
sind in ihr gemeine Plagen.
Schau Dir's an und stehe fest:
Nur wer sich nicht schrecken läßt,
darf die Krone tragen.
Es mag sein, so soll es sein.
Faß ein Herz und gib Dich drein.
Angst und Sorge wird's nicht wenden.
Streite, Du gewinnst den Streit.
Deine Zeit und alle Zeit
stehn in Gottes Händen. ( Rudolf Alexander Schröder )
Lieber Gott, welche Chance hast du wirklich ?
(Formuliert im Juli 2012, auf einer Walkingwanderung vom Parkplatz Altenburg aus, vor dem Emserberg, mit Blick auf Niedenstein, zusammen mit Gudrun)
Lieber Gott,
Vater, Allmächtiger, Schöpfer des Himmels und der Erde,
welche Chance hast du wirklich,
auf Menschen, ihre Denkweise und ihr Verhalten, Einfluss zu nehmen?
Hast du es dir gut überlegt, als du Menschen werden ließest?
Dabei spricht so Vieles dafür, dass Menschen denken und sich verhalten, wie du denken und dich verhalten würdest, wenn du Mensch wärest.
Aber du bist nicht Mensch und der Mensch ist nur dein Bild.
Mein Denkansatz: „Mit Gottes Gedanken denken, mit Gottes Willen wollen.“
Am Anfangschuf Gott den Himmel und die Erde und die Erde war wüst und leer und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.war ein Mensch, der gedacht hat, wie Gott denken würde, wenn er Mensch wäre, der gesprochen hat, wie Gott sprechen würde, wenn er Mensch wäre, der sich verhalten hat, wie Gott sich verhalten würde, wenn er Mensch wäre. Sein Name: Jesus von Nazareth. Sie nannten ihn „Sohn Gottes“, „Messias“, „Christus“.
„..mit Gottes Gedanken denken, mit Gottes Willen wollen… “
so formuliert es Papst Benedikt XVI und bezieht es auf Maria.
„Maria hat mit Gottes Gedanken gedacht und mit Gottes Willen gewollt.“
Jesus hat Gottes Gedanken und Gottes Willen im Alltag der Gesellschaft seiner Zeit „konkretisiert und vergegenwärtigt“ (Zitat eines Essays in der FAZ).
Jeder Einzelne von uns hat die Möglichkeit („die Berufung“),
so zu leben, zu denken, zu reden, sich zu verhalten,
wie Gott leben, denken, reden, sich verhalten würde, wenn er Mensch wäre.
Jedes neugeborene Kind ist eine neue Möglichkeit, dass ein Mensch so lebt, wie Gott leben würde, wenn er Mensch wäredass ein Mensch so denkt, wie Gott denken würde, wenn er Mensch wäredass ein Mensch so redet, wie Gott reden würde, wenn er Mensch wäredass ein Mensch sich so verhält, wie Gott sich verhalten würde, wenn er Mensch wäre.
Die Frage ist:
„Wie würde Gott denken, reden, wollen, sich verhalten, wenn er Mensch wäre?“
Erste spontane Antwort:
Mehr stille EinkehrNachdenkenFreudeEinfachheitVerzicht
Wenigerlaute BetriebsamkeitAktionismusgespielte FröhlichkeitAufwandGlamour und Glitzer.
Auch wenn Gott nur ein Gedanke wäre,
ist es ein guter Gedanke, der mir hilft, mich zu begreifen.
Auch wenn Gott nur eine menschliche Erfindung wäre,
ist es eine gute Erfindung, die mir hilft, zuversichtlich zu leben.
Gott ist unentwegt mit uns unterwegs.
Ich kann ihn anrufen, ihn fragen.
Auch wer Gott leugnet, bleibt im Dialog mit diesem Bild, dieser Idee, dieser Vorstellung, die seinem Bewusstsein unauslöschlich eingeprägt ist („Münze“!?).
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“
„Seht, das Zelt Gottes bei den Menschen.“
Lebenszeit. Tod. Wann ist ein Leben „erfüllt“?
(Das) (Ein) Leben vollzieht sich / ereignet sich zwar in (der) (einer) Zeit, aber Zeit ist nicht das Leben / macht nicht das Leben aus. (Die) Zeit ist (die) (eine) Verwirklichungsbedingung des Lebens. Ohne Anteil an (der) Zeit ereignet sich kein Leben (mehr).
Es geht n i c h t um die Frage, wieviel Leben sich in einer bestimmten Zeitspanne ereignet (möglichst viel Leben in einer bestimmten Zeit!), sondern darum, wieviel Zeit notwendig ist, vorhanden sein muß, damit sich ein bestimmtes, individuelles Leben vollziehen kann.
Die Frage ist nicht: Wieviel Leben muß ich / kann ich in einer bestimmten Zeitspanne schaffen, leisten, erleben (wie in der Arbeitswelt, im Leistungssport)?
sondern: Wieviel Zeit brauche ich / ist unumgänglich, um "mein Leben" zu leben?
Lebenszeit - Tod - sinnvolles Leben Die Frage ist nicht: Wie lange hat ein Mensch gelebt? Wieviel hat ein Mensch in seiner Lebenszeit erlebt, vollbracht?
sondern:
Wieviel Zeit war für "sein Leben" erforderlich?
Hypothese:
Die ihm zur Verfügung stehende Zeit hat in jedem Falle ausgereicht, um sein Leben (sein individuelles, unverwechselbares Leben) zu verwirklichen.
Problem 1:
Ich weiß nicht / niemand weiß von vornherein, wieviel Zeit ihm insgesamt zur Verfügung stehen wird.
Problem 2:
Ich weiß nicht / niemand weiß / wir können nie wissen, ob die Zeit, die mir zur Verfügung stand, ausgereicht hat, um mein Leben zu verwirklichen, ob mein Leben "ganz" war, vollendet, sinnvoll.
Das Evangelium:
Wir dürfen glauben, daß es so ist, egal wie lange (m)ein Leben dauert, ob kurz oder lang.
Allerdings: Ich darf die Zeit, solange sie mir zur Verfügung steht, auch nicht verschlafen.
Zeit ist kostbar, weil sie dem Leben ermöglicht, sich zu vollziehen. Ohne Zeit gibt es kein Leben.
Trotzdem bleibt: Nicht die Zeit ist das Maß aller Dinge, sondern das Leben selbst.
Es ist doch wohl kein ernstzunehmender Gedanke, daß sich der Wert eines menschlichen Lebens nach dessen zeitlicher Länge bemessen sollte.
Hingegen ist durchaus die Frage angemessen, warum das Leben von vielen bedeutenden Menschen zeitlich so kurz bemessen war.
Das Ziel, alt und lebenssatt zu sterben, scheint dem Bewußtsein des Menschen von Natur aus eingepflanzt (schöpfungsimmanent) zu sein. Ein langes Leben wird in der Bibel als Segen Gottes verstanden. Gilt dann auch der Umkehrschluß: Ein kurzes Leben ist ein Fluch Gottes?
Anders die Griechen: Wen die Götter lieben, dem ersparen sie den beschwerlichen Prozeß des Alterns.
Nachtrag:
Wenn es richtig ist, daß das Leben (mit dem Tod) nicht zuende ist, sondern offen bleibt für eine neue Existenzweise (Wie immer diese auch geartet sein mag), dann ist auch eine Läuterung, die (erst) angesichts eines unerbittlichen Todes eintritt (Sinnesänderung, Einsicht: ich habe vieles falsch gemacht, würde heute doch manches anders machen) nicht umsonst, sondern sinnvoll, eben "gut" (s.o.), weil auch dieses geschehen "noch" mit eingeht in die große Wandlung.
Frage: Wie lange und unter welchen Bedingungen sind solche "Korrekturen" noch möglich?
Versöhne dich mit dir selbst
Versöhne dich mit dir selbst, wenn du dich anklagst, weil du meinst, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, die jetzt nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Du wirst bisweilen erschrocken, traurig, zornig darüber sein, wie du dich in einer bestimmten Situation verhalten hast. Hätte ich doch nur ..hätte ich doch nicht .. warum habe ich nicht. Das Unabänderliche eines vergangenen Verhaltens spaltet dich. Du verstehst denjenigen nicht, der du eine halbe Stunde lang warst.
Aber wie finde ich Wege, mich mit mir selbst zu versöhnen, in dem Verhalten, das ich beklage, doch einen Sinn zu erkennen, der mich das mir immer noch unerklärliche Verhalten damals nicht mehr anklagen, sondern annehmen lässt. Lass dich versöhnen mit dir selbst. Vielleicht erkenne ich: Das schadet mir gar nichts, sondern veranlasst mich zu einem tieferen Nachdenken über mich selbst. Auch dieser Mensch, der da etwas falsch gemacht hat, bin ich, wenn es auch nicht derjenige ist, der ich doch eigentlich zu sein geglaubt habe. Halte Einkehr und nimm den Anderen in dir, der in jener Stunde zu Tage kam, an, erkenne auch ihn an als Teil von dir.
Sich selbst anklagen, immer wieder, das führt dazu, dass ich mich selbst zerstöre. Unablässig grübeln über das nicht mehr Veränderliche, um es doch noch zu verändern, ohne jede Aussicht auf Erfolg, das kann ein Fluch sein, das kann zu einem Trauma führen. „Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Diese Bitte des Vaterunsers kann auch ein Vorgang in mir selbst sein. Vergib auch du dir deine Schuld, wie Gott dir deine Schuld anderen Menschen oder Gott gegenüber vergibt. Aber sich selbst etwas vergeben, das ist schwerer als einem Anderen etwas vergeben, der bei dir in der Schuld ist.
Vor Gott und im Gebet zu Gott darfst du, kannst du dir deine Schuld vergeben, die du dir, wenn du der alleinige Richter wärest, eigentlich nicht vergeben dürftest. Also lass dich so auf diesem Wege versöhnen mit dir selbst und ziehe einen Schlussstrich unter diese ärgerliche Situation. Wickle die Angelegenheit mit Haltung ab, mach keine Staatsaffäre daraus und keine Entscheidung über leben und Tod, über Sein und Nichtsein. Kehre zum Alltag zurück, auch wenn immer wieder Vorwürfe, Grübeleien, Verärgerungen dich unversehens überfallen. Versuche, die Angelegenheit möglichst mit Gelassenheit und Wohlwollen, nie aber mit Häme und Selbstverurteilung zu betrachten.
Gebete
Herr, Du bist unsere Zuflucht für und für.
Ehe denn die Berge wurden
und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist Du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
(Psalm 90)
Herr, ich danke Dir, denn Du bist freundlich
und Deine Güte währet ewiglich.
(Psalm 107)
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auch auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in die Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.
Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünde der Welt,
erbarme Dich unser.
Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünde der Welt,
erbarme Dich unser.
Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünde der Welt,
gib uns Deinen Frieden. Amen.
(Das mittelalterl. Agnus Dei / deutsch von Martin Luther 1528)
Gott, ich danke Dir von Herzen, daß Du mich in dieser Nacht
vor/in Gefahr, Angst, Not und Schmerzen hast behütet und bewacht.
Führe mich, oh Herr, und leite meinen Gang nach Deinem Wort,
sei und bleibe Du auch heute mein Beschützer und mein Hort.
Nirgend als bei/von Dir allein kann ich recht bewahret sein.
Meinen Leib und meine Seele samt den Sinnen und Verstand,
großer Gott, ich Dir befehle unter Deine starke Hand.
(1642 / EKG alt 345)
Wenn wir wie Brüder beieinander wohnten,
Gebeugte stärkten und der Schwachen schonten,
dann würden wir den letzten heilgen Willen des Herrn erfüllen.
(1640 / EKG alt 159)
Was kränkst du dich in deinem Sinn und grämst dich Tag und Nacht?
Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht!
Hat er dich nicht von Jugend auf versorget und ernährt?
Wie manches schweren Unglücks Lauf hat er zurückgekehrt!
Er hat noch niemals was versehn in seinem Regiment,
nein, was er tut und läßt geschehn, das nimmt ein gutes End.
Ei nun, so laß ihn ferner tun und red ihm nicht darein!
So wirst du hier in Frieden ruhn und ewig fröhlich sein.
(Paul Gerhardt, 1607-1676 / EKG alt 230)
Abendgebet
Alles, was mich heut verdrossen,
Angst und Weinen, Lärm und Streit,
bleibt im Kästchen hier verschlossen,
das hat nun bis morgen Zeit.
Nur das Schöne und die Freude
bleibt in meinem Herzen drin,
nehm ich mit in meine Träume,
wo ich sorglos glücklich bin.
Müde bin ich, geh zur Ruh,
mache meine Augen zu.
Lieber Gott, halt du die Wacht,
wenn ich schlafe in der Nacht.
Meinen Leib und meine Seele
samt den Sinnen und Verstand,
großer Gott, ich dir befehle
unter deine starke Hand.
„Abend ist, es kommt die Nacht,
schlafen geht die Welt.
Denn sie weiß, es ist die Wacht
über ihr bestellt.
Einer wacht und trägt allein
unsere Müh und Plag.
Der lässt keinen einsam sein
weder Nacht noch Tag.“
Leonies Abendgebet
Gott, Du bist Gast bei uns, Du hast uns etwas mitgebracht.
Du bist immer da, auch wenn wir Dich nicht sehen, Tag und Nacht.
Tschüs bis morgen, gute Nacht. Wenn ich schlaf, hältst Du die Wacht.
Amen
Der liebe Gott, wer ist das?
Der liebe Gott,
wer ist das?
gibt es den?
wo ist der denn?
kann ich ihn sehen?
Der liebe Gott, dein lieber Gott, mein lieber Gott, unser lieber Gott
freut sich, wenn wir uns freuen,
ist traurig, wenn wir traurig sind,
weint, wenn wir weinen,
ist bei uns, wenn wir allein sind.
Jeder Mensch hat seinen Gott
so wie jedes Kind seine Mutter und seinen Vater hat.
Aber ein Vater kann viele Kinder haben.
So ist dein Gott auch der Gott vieler Menschen, ja aller Menschen.
Aber immer ist er auch dein Gott, mein Gott, unser Gott.
Und er ist da, wo du bist, wo ich bin, wo wir sind.
Immer unsichtbar, aber immer bei uns.
Ja, das ist ein Geheimnis, und manche meinen, es wäre nicht wahr,
das wäre doch nur eine Erfindung oder nur eine Phantasie.
Aber so viele Menschen, die an ihren Gott glauben, können sich nicht täuschen. Wenn ihr Glaube an Gott so vielen Menschen hilft,
zu leben, sinnvoll zu leben, Freude am Leben zu haben,
nicht zu verzweifeln, wenn sie leiden, wenn sie traurig und einsam sind,
dann ist dieser Glaube wichtiger und wahrer als so vieles andere, was wir jeden Tag sehen und benutzen, wichtiger und wahrer als ein Haus oder ein Auto oder ein Ball oder ein Fahrrad oder ein Buch oder ein Spielzeug.
Das alles sind Dinge, die sind auch wichtig, und wenn man sie nicht hat, wünscht man sich, dass man sie hat, aber es sind Sachen, Gegenstände, die hergestellt worden sind und die vergehen können und die nur dort sind, wo wir sie gebaut oder hingestellt oder hingelegt haben.
Dein Gott, mein Gott, unser Gott
ist immer dort, wo wir sind, er ist mit uns unterwegs.
Dein Gott wacht, wenn du schläfst,
dein Gott hört zu, wenn du sprichst,
dein Gott bemüht sich, dich zu trösten, wenn du traurig und betrübt bist.
Dein Gott ist ein Vater, eine Mutter, eine Schwester, ein Bruder, ein Opa, eine Oma.
Dein Gott ist ein der, eine die, ein das. Alles zugleich und doch ganz anders und immer in dir und über dir und neben dir und vor dir und hinter dir. Nie zum Sehen und Anfassen, aber immer in uns und bei uns. Auch wenn wir nicht an ihn denken.
Dein Gott ist auch der Schöpfer, der seine Macht in der Natur und in ihren Gesetzen offenbart. Aber als dein, mein, unser Gott ist er anders, als wenn am Morgen die Sonne aufgeht oder es regnet oder die Bäume grün werden oder die Vögel fliegen. Er ist dort, wo wir sind, er ist so, wie wir ihn denken, er ist bei uns, wenn wir ihn brauchen und zu ihm beten.