Ein Weihnachtsbaum,der vom Himmel fiel. Eine wirklich wahre
weihnachtliche Geschichte.
Erzählt von dem, der sie erlebt hat.
Heute, Dienstag, am 26. November
2002, zwei Tage nach Totensonntag, habe
ich festgestellt, dass im nordhessischen Bergland in der kleinen Stadt, in der
ich wohne, in der Nähe der 1000jährigen Gerichts- und Tanzlinde in einem mehr
einem Wald als einem Garten ähnelnden Grundstück, das wegen seiner Nähe zur
Stadtlinde seit Generationen „der Lindengarten“ genannt wird, ein Zeichen oder
Wunder geschehen sein muss. Worum es sich denn handelt, fragt Ihr mich und ich
weiß, Ihr wollt es natürlich nicht glauben. Ehrlich! Ich wollte es zuerst auch
nicht glauben und ich habe an alles Andere gedacht als an ein Zeichen vom
Himmel, aber ich musste nach längeren sorgfältigen und sehr kritischen
Untersuchungen klein beigeben und zur Kenntnis nehmen, dass sich hier etwas
Wunderbares zugetragen haben muss. Hört und urteilt selbst, ob Ihr eine andere
Erklärung habt.
In dem Lindengarten stehen viele Bäume,
die ich vor zwanzig Jahren dort gepflanzt habe und die inzwischen schon eine
beachtliche Höhe erreicht haben, alles heimische Bäume wie Eiche, Buche, Linde,
Ahorn, Kastanie und Silberpappel, die aber im November auch viel Laub werfen.
Ein Nachbar hatte sich daher telefonisch bei mir darüber beschwert, dass von
den Bäumen in meinem Garten Blätter auf seinen sauberen, kurz geschorenen Rasen
gefallen seien und ich diese doch gefälligst zusammenrechen möge. Um das zu
tun, ging ich also heute am frühen Nachmittag ans Werk.
Nachdem ich nun meine Arbeit in
Nachbars Garten getan hatte, stapfte ich noch einmal ein wenig nachdenklich
durch meinen kleinen Wald und dabei entdeckte ich auf einmal mitten darin einen
etwa drei Meter großen Fichtenbaum, der auf seiner Seite lag. Ich untersuchte
ihn etwas genauer und stellte fest, dass der Stamm unten, dort, wo er
irgendwann irgendwo abgesägt worden sein musste, mit einer dunklen harten
Erdkruste umschlossen war, so als wäre er von oben direkt in den Erdboden
eingedrungen, wieder herausgefedert und dann auf der Seite liegen geblieben.
Wie ich auf die Idee gekommen bin,
dass dieser Tannenbaum direkt vom Himmel herab hierher gekommen sein muss,
werdet Ihr mich spöttisch lächelnd fragen und hinzufügen, dass er doch von irgendwoher
hierher gekommen sein muss. Eben. Aber woher?
Aus meinem Garten selbst kann er
nicht stammen. Dann vielleicht aus den Nachbargärten? Ja, das habe ich zunächst
natürlich auch geargwöhnt, obwohl ich bekennen muss, dass ich keinem meiner
Nachbarn zutraue, heimlich still und leise einen abgesägten Fichtenbaum in
meinen Waldgarten zu schleppen und dort zu entsorgen. Trotzdem habe ich die in
Frage kommenden Gärten daraufhin sorgfältig inspiziert, aber dort nicht den kleinsten
Anhaltspunkt für einen Verdacht gefunden. Dann kann der schöne große
Weihnachtsbaum nur direkt von der oben (der Garten hat eine Hanglage in
südwestlicher Richtung) vorbeiführenden Hauptstraße aus in meinen Waldgarten
getragen worden sein. Aber nein, das ist unmöglich; denn dort oben hat eine
Baufirma, die in der Lindenstraße, die in unmittelbarer Nähe meines Gartens in
die Hauptstraße einmündet, Kanal-und Straßenbauarbeiten durchführt, den
gesamten Bürgersteig vor dem Aluminumzaun meines Gartens mit Baumaterialien
verrammelt, die Pforte ist mit Absperrgittern zugestellt. Nein, von hier aus
kann niemand den Baum in meinen Garten geschleppt haben. Ich selbst war ja nur
über das Grundstück des besagten Nachbarn hineingelangt.
Die Angelegenheit begann für mich
langsam unheimlich zu werden. Aber als aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts
sträubte ich mich dagegen, wohlmöglich
an irgendein Zeichen oder Wunder von oben zu glauben, so als hätte der Nikolaus
oder Knecht Ruprecht oder gar das Christkind selbst diesen Tannenbaum hierher
gebracht, um ihn in diesem kleinen Waldgarten unbemerkt zwischenzulagern und
später dann als Weihnachtsbaum zu Kindern oder Erwachsenen zu bringen, die
artig und fromm gewesen sind.
Ich untersuchte also das Umfeld der
Stelle, wo dieser Weihnachtsbaum lag, auf Schleifspuren. Wenn dieser Baum, der
zum Tragen zu schwer sein dürfte, hierher geschleppt worden war, dann musste
dieser Vorgang auf der von unzähligen Blättern übersäten umliegenden Fläche
doch irgendwelche Kratz-oder Schleifspuren hinterlassen haben. Aber, Ihr mögt
es mir glauben oder nicht, es gibt keine. Aber wisst Ihr, was ich seitlich des
Stammes entdeckte? Eine etwa zehn Zentimeter messende Vertiefung im Erdreich,
also „die Einschlagstelle“.
Nun urteilt selbst. Muss dieser
schöne, frisch gesägte, aber an seinem Fuß von einer harten dunklen Erdkruste
markierte Weihnachtsbaum nicht irgendwann zwischen Totensonntag und erstem
Advent vom Himmel herab hierher gekommen sein? Ich habe keine andere Erklärung.
Ihr etwa?
Glauben wir nicht in einem nachdenklichen
Winkel unseres Herzens alle irgendwann und irgendwie doch auch an Zeichen und
Wunder?
Inzwischen sind mehr als zwei Wochen
ins Land gegangen. Längst überstrahlt allabendlich seit dem 1. Advent der durch
Scheinwerfer lichterhelle Turm mit einem metallenen Weihnachtsbaumsymbol als
Krone auf dem fünfhundert Meter hohen Hausberg die Hauptstraße und die engen
Gassen der kleinen historischen Altstadt, die nun schon seit 750 Jahren
Stadtrechte hat. Die Holzbuden und die Lichterketten des Weihnachtsmarktes, der
alljährlich am 2. Adventswochenende rund um die Kirche stattfindet, sind schon
wieder abgebaut. Viele Menschen haben den Weihnachtsmarkt genutzt, um sich
ihren Weihnachtsbaum zu kaufen. Aber die
wundersame Fichte in meinem Waldgarten liegt immer noch friedlich dort, wo ich
sie seinerzeit gefunden hatte. Hat das Christkind sie etwa vergessen? Oder gibt
es keine Kinder und Erwachsenen mehr, die wirklich artig und fromm sind? Oder
hat Knecht Ruprecht den Baum etwa für mich hierher gelegt?
Erneut habe ich das gesamte drum
herum liegende Gelände unter die Lupe genommen. Und jetzt, erst jetzt, als ich
von einem etwas höher über allem liegenden Punkt aus meine Blicke schweifen
ließ, bemerkte ich, dass in einem angrenzenden Grundstück bei einer der
mehreren sehr hohen Fichten offensichtlich die Krone fehlte. Eine Sturmbö muss
die Krone förmlich „abgesägt“ und von oben her in meinen Garten getragen haben.
Beweisen kann ich es nicht, aber wahrscheinlich ist es so gewesen. Also doch
kein Zeichen oder Wunder?
Niemand wird Knecht Ruprecht oder
den Weihnachtsmann oder das Christkind je sehen, wie sie Dinge in ihrem Sinne
in Bewegung setzen. Das beweist aber noch lange nicht, dass es sie nicht gibt.
Ist etwa alles, was unsere Vernunft übersteigt, aber in uns viele positive
Phantasieen und Kräfte auslöst, nicht wahr? Was wirklich wahr ist in dieser
Welt, entscheidet sich nur ganz tief drinnen in uns, nicht irgendwo da draußen
außerhalb von uns. „Niemand kann alle die unsichtbaren Wunder der Welt
begreifen,“ habe ich einmal gelesen.
Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung hinzufügen: „Aber manchmal können wir sie
doch ahnen.“
Was meint Ihr? Soll ich die
wundersame Fichte aus meinem Lindengarten zersägen und deren obere Hälfte als
Weihnachtsbaum in unser Wohnzimmer stellen? Oder soll ich den Baum dort, wo er
liegt, solange liegen lassen, bis er sich von selbst in seine Bestandteile
aufgelöst hat? Ich weiß mir keinen Rat. Ihr etwa?
Der Heilige Abend rückte
näher und damit auch meine Entscheidung.
Ja, ich habe die obere Hälfte des
Baumes, so viel davon in unser Weihnachtszimmer hineinpasste, aus dem großen
Baum herausgesägt und als Weihnachtsbaum geschmückt. Die Zweige waren anders
als an normalen Weihnachtsbäumen, kräftiger und steiler nach oben zum Himmel
hin weisend und es war schwierig, den Christbaumschmuck an ihnen zu befestigen,
die Kugeln, aber besonders die Kerzen. Bei uns trägt der Weihnachtsbaum immer
noch echte brennende Kerzen. Das Besondere, Unverwechselbare dieses
Weihnachtsbaumes aber war seine Spitze. Sie bestand aus zwei Zweigen, die aus
dem kräftigen Stammende herauswuchsen, sich dann wie eine große natürliche
Weihnachtskugel auseinanderbogen und sich schließlich ganz oben wieder
zueinander neigten. In diese Höhle hinein habe ich eine kleine Krippe mit dem Christuskind
gestellt, die meine Kinder vor vielen Jahren in der Grundschule gebastelt
hatten und die jahrelang in einem Puppenhaus auf dem Boden vor sich hin
gewartet hatte.
Ja, es war ein Weihnachtsbaum, der etwas Besonderes und
Unwiederholbares ausstrahlte. Schließlich war er ja auch vom Himmel gefallen.
Nachtrag: Am 15. Juli 2003 wurde in meiner Familie das erste
Enkelkind geboren.
Autor u. Copyright 2008 Albert Eggers, Hauptstraße 3,
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